Die Bevölkerung in den Metropolen wächst stetig – und mit ihr das Verkehrsaufkommen. Die steigenden Einwohnerzahlen stellen hohe Anforderungen an das Verkehrsnetz der Städte. Bisherige Mobilitätskonzepte müssen neu gedacht und weiterentwickelt werden, um dem zunehmenden Angebotsbedarf gerecht zu werden. Was bedeutet dies für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in München? Dazu und zu weiteren Themen waren Markus Pollinger, bei acterience verantwortlich für den Geschäftsbereich Mobility, und Verena Dany, verantwortlich für Tarif- und Erlösmanagement bei der Stadtwerke München GmbH, im Gespräch.

Interview

Inwiefern haben sich die Nutzerzahlen des ÖPNV in München in den letzten Jahren verändert, sowohl vor als auch nach Corona?

Verena Dany: Vor Corona konnten wir stetig steigende Kundenzahlen verbuchen. Wesentliche Gründe dafür waren das Bevölkerungswachstum und der kontinuierliche Angebotsausbau der Münchner Verkehrsgesellschaft mbH (MVG). Die Auswirkungen von Corona spüren wir im Bereich des ÖPNV sehr stark. Normalerweise befördert die MVG täglich bis zu 2 Millionen Menschen mit U-Bahn, Bus und Tram in München. Ausgelöst durch die Corona-Pandemie ist die Fahrgastnachfrage stark eingebrochen, so dass teilweise nur noch ca. 400.000 Fahrgäste pro Tag unsere Fahrzeuge nutzten. Dies wirkt sich auch direkt auf die Höhe unserer Fahrgeldeinnahmen aus. Letztes Jahr lagen diese zum Jahresende bei rund 500 Mio. Euro. Heute rechnen wir aufgrund von Corona mit einem Einbruch von bis zu 190 Mio. Euro bis zum Jahresende.

Gibt es neben den Fahrgastzahlen weitere Treiber für die Veränderung Ihrer Mobilitätsangebote?

Verena Dany: Auswirkungen auf das Angebot der MVG hat natürlich auch das Ziel der Landeshauptstadt München, die Verkehrswende voran zu treiben und nachhaltige Mobilität zu fördern. Vor diesem Hintergrund hat sich die Stadt das Ziel gesetzt, den Anteil der Wege im Umweltverbund, also von Fußgängern, Radfahrern und Fahrgästen im ÖPNV, auf 80 Prozent zu steigern. Der Anteil des ÖPNV liegt derzeit bei 24 Prozent und soll bis 2030 auf 30 Prozent gesteigert werden.

Welche Relevanz haben Shared Mobility Modelle, wie Carsharing oder E-Scooter für die MVG? Ist das etwas, auf das man seinen Fokus legen möchte, beispielsweise durch Partnerschaften oder möglicherweise auch ein eigenes Angebot?

Verena Dany: Für jedes Projekt erstellen wir einen Business Case. In Bezug auf Carsharing und E-Scooter hat sich die MVG dagegen entschieden, eine eigene Flotte zu betreiben. Wir kooperieren im Bereich Carsharing mit den etablierten Anbietern SHARE NOW und Stattauto. Für die E-Scooter haben wir mit TIER einen starken Partner gefunden. Die Partnerangebote sind alle in die MVG more App integriert. Mit der Weiterentwicklung unserer Apps zu einer umfassenden Mobilitätsplattform möchten wir perspektivisch noch weitere Kooperationspartner anbinden, um eine größere Abdeckung zu erreichen und mehr Mobilitätsangebote aus einer Hand anzubieten.

Sharing-Angebote für Fahrräder sind in den letzten Jahren stark gewachsen. Wie wurde das Angebot „MVG Rad“ bisher angenommen und gibt es Pläne, dieses um E-Bikes zu erweitern?

Verena Dany: Das Angebot der MVG Räder wurde bisher gut angenommen – pro Tag werden bis zu 7.000 MVG Räder ausgeliehen. Es ist deutlich spürbar, dass die Menschen neue Formen von Mobilität suchen, um in Stadt und Region mobil zu sein. Heute besteht MVG Rad aus insgesamt 300 Stationen in der Stadt sowie in 21 umliegenden Gemeinden des Landkreises München. Aktuell läuft die Planung für 125 weitere Stationen. Der Ausbau in der Stadt und auf dem Land erfolgt in Zusammenarbeit und mit finanzieller Beteiligung der Landeshauptstadt München bzw. des Landkreises München. Zudem gibt es auch die ein oder andere Firma, die eine MVG Radstation finanziert. Unsere Hauptnutzer sind Studenten und Pendler. Denn die Idee ist, vor allem Pendlern mehr Flexibilität zur Anbindung an die klassischen Verkehrsmittel zu bieten. E-Bikes testen wir derzeit im Rahmen von Stadtentwicklungsprojekten. Unser Fokus liegt jedoch auf konventionellen MVG Rädern.

Bis zu 7.000 MVG Räder werden täglich an den insgesamt 300 zur Verfügung stehenden Stationen in und um München ausgeliehen.

Inwiefern konzentriert man sich von Seiten der MVG auch auf neue technologische Aspekte, wie zum Beispiel automatisiertes bzw. autonomes Fahren?

Verena Dany: Überlegungen hierzu gibt es, allerdings kümmert sich die MVG nicht allein um solche Fragestellungen. Es gibt das Pilotprojekt EASYRIDE, welches vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur gefördert wird. Gestartet ist das Pilotprojekt bereits am 1. Oktober 2018, mit dem Ziel zu verstehen, welche Auswirkungen das automatisierte Fahren auf unsere Mobilität und den Verkehr der Zukunft hat. Zudem geht es darum zu verstehen, was die öffentliche Hand tun kann, um diese neue Technologie zu fördern und diese Innovation zum Wohle der Bürger einzusetzen.

Auch die Tarifkonzepte haben sich in den letzten Jahren immer weiterentwickelt. Ist ein 365 Euro Jahresticket wie in Wien oder eine kostenfreie City-Zone wie in Augsburg auch für München denkbar?

Verena Dany: Bei diesem Thema werden oft Äpfel mit Birnen verglichen. Zunächst zur Entwicklung in München: Ab dem kommenden Schuljahr gibt es ein 365 Euro Ticket für Schüler und Auszubildende, also ein günstiges Angebot für bestimme Zielgruppen. Das von Ihnen angesprochene Modell in Wien ist durchaus spannend. Allerdings hat Wien ganz andere Finanzierungsgrundlagen als München. Dort gibt es eine sog. U-Bahn-Steuer und eine sehr restriktive Parkraumbewirtschaftung. Zudem wurden Netz und Angebot über viele Jahre kontinuierlich ausgebaut, bevor das 365 Euro Ticket eingeführt wurde. Es wurde also ein Gesamtkonzept für die Stadt Wien erarbeitet, welches mehrere Komponenten berücksichtigt. In einer eigens durchgeführten Studie konnten wir unter anderem ermitteln, dass der Preis nur für rund 3% der Nichtnutzer der alleinige Ablehnungsgrund für die Nutzung des ÖPNV ist. Das zeigt, dass es gravierendere Zugangsbarrieren zum ÖPNV gibt, als den Preis. Daher ist es wichtig, die öffentlichen Mittel – wie in Wien geschehen – in erster Linie in den Ausbau des Angebotes, der Kapazitäten und der Qualität fließen zu lassen, statt Tarifsenkungen damit zu finanzieren.

Sie sagen, dass der Preis für den Großteil der Personen, die den ÖPNV nicht nutzen, nicht das ausschlaggebende Kriterium ist. Gibt es andere Ideen oder Ansätze hinsichtlich eines neuen Tarifkonzepts, um auch diese Personen als Kunden zu gewinnen?

Verena Dany: Ja, die gibt es durchaus. Wir haben festgestellt, dass das Tarifsystem teilweise undurchsichtig für unsere Kunden ist und Unsicherheit bei der richtigen Ticketwahl besteht. Unter diesen Gesichtspunkten wurde vergangenes Jahr eine Tarifreform im Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV) durchgeführt. Außerdem testen wir im MVV einen eTarif. Der Fahrpreis wird dabei auf Basis der Entfernung zwischen Einstiegs- und Ausstiegshaltestelle berechnet. Die Abrechnung erfolgt über ein Smartphone-basiertes Check-in/Check-out-Verfahren. Wie bereits erwähnt bauen wir auch Barrieren ab, indem wir unser Angebot noch attraktiver machen und mit Formen der neuen Mobilität vernetzen.

Ich würde vermuten, dass dieser Tarif stark auf die klassischen ÖPNV Angebote abzielt. Ist es vorgesehen weitere Mobilitätsdienstleistungen, wie Car- oder Bikesharing, in den Tarif zu inkludieren, so dass Abonnement-Nutzer das gesamte Spektrum aller MVG-Mobilitätsangebote nutzen können?

Verena Dany: Ja, darüber denken wir nach. Vorstellbar ist zum Beispiel ein Mobilitätsbudget, das man für die Nutzung alle Angebote einsetzen könnte. Für IsarCard Abonnenten bieten wir beispielsweise schon Vergünstigungen beim MVG Rad und beim Carsharing-Anbieter Stattauto an.

TIER hat zudem eine Aktion für Abonnement-Kunden des ÖPNV ins Leben gerufen und bietet allen Kunden 40 kostenlose Freischaltungen eines Rollers an. Das zeigt, welche Möglichkeiten man als Mobilitätsanbieter hat und gibt eine gute Richtung vor.

Frau Dany, vielen Dank für das Interview!

Die Münchner Verkehrsgesellschaft mbH (MVG) wurde als hundertprozentige Tochter der SWM gegründet und hat seit 2002 die Verantwortung für U-Bahn, Bus und Tram. Die Verkehrsleistungen werden im Auftrag der MVG von ihrer Muttergesellschaft Stadtwerke München GmbH (SWM) sowie im Busverkehr auch von privaten Kooperationspartnern erbracht.

Die MVG ist ein starker Partner im Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV). Zu diesem zählen unter anderem die S-Bahn München, DB Regio, Bayerische Oberland Bahn (BOB), Vogtlandbahn, Regionalverkehr Oberbayern, zahlreiche Regionalbusunternehmen der Landeshauptstadt München sowie der acht Landkreise (München, Starnberg, Fürstenfeldbruck, Dachau, Freising, Erding, Ebersberg und Bad Tölz-Wolfratshausen). Die Gesellschafter dieses Verbundes sind der Freistaat Bayern, die Landeshauptstadt München und die acht Verbundlandkreise.

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© Photos: Titel: Michael Rieperdinger/stock.adobe.com; Portrait Verena Dany und Content Image: Stadtwerke München GmbH; Portrait Markus Pollinger: Johanna Lohr