Seit 2023 hat die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) die Spielregeln für viele Unternehmen verändert. Nachhaltigkeitsberichte werden zunehmend verpflichtend und müssen den umfassenden European Sustainability Reporting Standards (ESRS) entsprechen. Besonders für mittelständische Unternehmen und Familienunternehmen bedeutet das: tief durchatmen und Ärmel hochkrempeln.
Übersicht
Der Dschungel der Abkürzungen und die erste Lichtung: Die Doppelte Wesentlichkeitsanalyse
Die neuen Regelungen der CSRD und ESRS bringen zahlreiche Abkürzungen und Fachbegriffe mit sich, die auch für erfahrene Nachhaltigkeitsmanager komplex sein können und eine intensive Einarbeitungszeit erfordern. Es gilt, das richtige Team zusammenzustellen, sich gemeinsam durch diesen Dschungel zu kämpfen und den ersten, wichtigsten Schritt zu machen: die Doppelte Wesentlichkeitsanalyse (DWA).
Was steckt hinter der DWA?
Die Analyse ermöglicht es Unternehmen, ihre Nachhaltigkeitsleistungen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance (ESG) zu identifizieren und zu bewerten. Mit den Ergebnissen der Analyse können sie einen klaren Fahrplan zur Einhaltung der CSRD entwickeln. Denn, bevor man losstürmen kann, muss man wissen, wo man steht. Wichtig zu beachten ist, dass die Doppelte Wesentlichkeitsanalyse keine freiwillige Maßnahme ist. Unternehmen sind gesetzlich verpflichtet, im Rahmen ihres Nachhaltigkeitsberichts transparent über den Prozess und die Ergebnisse der Analyse zu informieren.
Zwei Perspektiven, ein Ziel
Die Doppelte Wesentlichkeitsanalyse besteht aus zwei wichtigen Perspektiven:
- Wesentlichkeit der Auswirkungen
Hier geht es darum, die positiven und negativen Auswirkungen der Geschäftstätigkeiten des Unternehmens und der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette auf Mensch und Umwelt zu verstehen.
- Finanzielle Wesentlichkeit
Diese Dimension zeigt auf, wie die eigenen Tätigkeiten und die der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette die eigene wirtschaftliche Stabilität beeinflussen. Welche Risiken und Chancen gibt es? Was könnte das Unternehmen voranbringen oder in finanzielle Schwierigkeiten bringen?
Gemeinsam zum Ziel: Stakeholder einbeziehen
Eine gründliche Analyse bedeutet nicht nur, die eigene Perspektive zu betrachten, sondern auch die der Stakeholder. Damit sorgen Unternehmen für eine umfassende und objektive Bewertung aller relevanten Themen.
Rechtzeitig anfangen
Vielleicht fragen Sie sich, wann der beste Zeitpunkt für die Durchführung der DWA ist. Hier erleben unsere Kunden oft echte Aha-Momente. Denn es gilt: Je früher, desto besser. Nehmen wir an, Ihr Unternehmen muss ab 2026 berichten. Dann sollten Sie die DWA bereits 1,5 bis 2 Jahre vorher, also 2024, durchführen. Warum? Weil die Datenerhebungsprozesse ab Januar 2025 etabliert sein müssen, um über das gesamte Geschäftsjahr 2025 hinweg alle erforderlichen Daten zu sammeln. Wenn die Daten fehlen oder die Erfassung zu spät beginnt, können Sie 2026 nicht vollständig über 2025 berichten.
Schritt für Schritt zur Doppelten Wesentlichkeitsanalyse
01 Analyse des Geschäftsmodells und der Wertschöpfungskette
Zu Beginn steht eine genaue Betrachtung des Geschäftsmodells und der Wertschöpfungskette. Dabei werden entscheidende Fragen beantwortet: Welche Kerntätigkeiten führt das Unternehmen aus? Welcher Konsolidierungskreis ist zu berücksichtigen? An welchen Standorten ist das Unternehmen tätig? Mit welchen Lieferanten und Kunden arbeitet das Unternehmen zusammen? Wer sind die wichtigsten Stakeholder? Sobald das geklärt ist, geht es an die Details.
02 Identifizierung der wesentlichen
Themen nach ESRS
Jetzt wird es konkret. Das Unternehmen beginnt damit – meist mittels mehrtägigen Workshops – interne Daten und Informationen über ESG-Themen gemäß ESRS zu sammeln. Gleichzeitig werden externe Berichte und Marktstudien analysiert, um ein umfassendes Bild der ESG-Risiken und -Chancen zu erhalten. Ein von uns eigens entwickelter Fragebogen hilft Unternehmen, sich den 92 Nachhaltigkeitsthemen systematisch zu nähern und in anschließenden Workshops die geforderten Auswirkungen, Risiken und Chancen schnell und verständlich zu erfassen.
Wussten Sie zum Beispiel, dass Unternehmen sich bei “E1 Klimawandel → Anpassung an den Klimawandel” folgende Fragen stellen sollten?
- Welche Risiken durch Extremwetterereignisse bestehen für Ihr Unternehmen? Gibt es hierzu Daten aus der Vergangenheit (z.B. Häufigkeit von Hochwasser)? Welche Ihrer Standorte sind am meisten betroffen? Risiken können sein: Gebäudeschäden oder Produktionsausfälle durch Hochwasser, Anlagenschäden/-ausfälle durch Hitzestress, erhöhte Versicherungskosten für Elementarschadenversicherungen, Infrastrukturausfälle durch Stromausfälle oder überflutete Zufahrtsstraßen.
- Welche klimabedingten Chancen bestehen für Ihr Unternehmen? Gibt es hierzu Daten aus der Vergangenheit (z.B. Studien zum Verbraucherverhalten)? Chancen können sein: Verbraucher verändern ihr Verhalten und kaufen nur noch nachhaltige Produkte, oder sie legen mehr Wert auf Qualität statt Quantität – vielleicht spielt genau das Ihrem Unternehmen in die Karten und verbessert Ihre finanzielle Lage.
03 Bewertung der wesentlichen Themen nach ESRS und Erstellung der Wesentlichkeitsmatrix
Die wesentlichen Themen sind also identifiziert. Nun folgt die Bewertung, um herauszufinden, welche Themen den vom Unternehmen selbst festgelegten Schwellenwert überschreiten und im Nachhaltigkeitsbericht offengelegt werden müssen. Wir nutzen bei der Bewertung eine Skala von 0 (vernachlässigbar) bis 5 (hoch, Gefährdung/Sicherung des Betriebs, global, irreversibel, 100%).
Dabei werden die identifizierten Auswirkungen nach vorgegebenen Kriterien bewertet:
- Ausmaß
Wie schwerwiegend ist die negative Auswirkung bzw. wie nützlich ist die positive Auswirkung für den Mensch und/oder die Umwelt? - Umfang
Wie weitverbreitet ist die negative oder positive Auswirkung, also z.B. wie viele Regionen oder Personen sind davon betroffen? - Unabänderlichkeit
Kann die negative Auswirkung behoben werden, indem die Umwelt und/oder betroffenen Personen in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden? - Eintrittswahrscheinlichkeit
Wie wahrscheinlich ist der Eintritt einer potenziellen Auswirkung?
Die Chancen und Risiken werden ebenfalls bewertet, allerdings nur nach Ausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit.
- Ausmaß
Wie schwerwiegend ist die potenzielle, finanzielle Auswirkung eines Risikos oder einer Chance auf das Unternehmen? - Eintrittswahrscheinlichkeit
Wie wahrscheinlich ist der Eintritt eines potenziellen Risikos oder einer Chance?
Für jeden als wesentlich identifizierten Nachhaltigkeitsaspekt wird ein Wert für die Wesentlichkeit der Auswirkungen (X-Achse) und die finanzielle Wesentlichkeit (Y-Achse) ermittelt. Auf diese Weise lässt sich eine Wesentlichkeitsmatrix erstellen, eine anschauliche Grafik, die die 10 themenbezogenen ESRS-Einzelstandards (nach Höchstwertprinzip) und somit klar die Prioritäten des Unternehmens aufzeigt und für die strategische Planung des Unternehmens genutzt werden kann.
Wie geht es weiter?
Ein großer Schritt ist geschafft, doch die Arbeit hört hier nicht auf. Mit den Ergebnissen der DWA in der Hand, geht es nun darum, alle Lücken zur CSRD-Konformität schnell zu identifizieren und diese bis zum Jahresende mit einem klaren Plan zu schließen. Danach wird es spannend: Im kommenden Berichtsjahr zeigt sich, ob die ganze Mühe sich gelohnt hat. Über das gesamte Jahr hinweg werden alle notwendigen Kennzahlen und Informationen gemäß den ESRS-Angabepflichten gesammelt. Das Ziel? Alles in den ersten Monaten des Folgejahres in einem anschaulichen und gut strukturierten Nachhaltigkeitsbericht zusammenzufassen, der die nachhaltige Vision des Unternehmens endlich lebendig werden lässt.
Die Doppelte Wesentlichkeitsanalyse ist der Startschuss für Unternehmen, um sich mit den Anforderungen der CSRD und den ESRS auseinanderzusetzen.
Sie bietet ein strukturiertes und zielgerichtetes Vorgehen und stellt die Basis für alle weiteren Schritte dar. Der Aufwand ist zwar hoch, doch die Analyse eröffnet auch die Chance, das eigene Geschäftsmodell nachhaltig und zukunftssicher auszurichten und finanzielle sowie rechtliche Risiken zu minimieren. Besonders der Mittelstand nutzt die Ergebnisse der Analyse bereits erfolgreich, um sich strategische Finanzierungen zu sichern oder Lieferanten einen transparenten Einblick in Nachhaltigkeitspraktiken zu geben. Jetzt heißt es: Ärmel hoch und los geht’s!
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Zu unseren Beratungsleistungen im Bereich Nachhaltigkeit:
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Quellen: DELEGIERTE VERORDNUNG (EU) 2023/2772 DER KOMMISSION vom 31. Juli 2023 zur Ergänzung der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates durch
Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung: europa.eu, Abrufdatum: 22.07.2024